Ich streite mich täglich mit meinem Freund. Es geht dabei nur ganz selten um das Übliche, also Putzen, Geld und Sex. Meist streiten wir uns so laut, dass unser Hund den Schwanz einzieht und aus dem Zimmer schleicht. Die zentrale Frage ist immer: Wer hat Recht? Ein aktuelles Beispiel. Ich stimme mit dem Philosophen John Gray überein, dass Humanismus irgendwie out ist. Dann bekomme ich zu hören, dass das totaler Quatsch sei und ich natürlich unrecht habe. Auch wenn ich einen berühmten englischen Philosophen an meiner Seite habe. Der erste Punkt: Ich wisse ja nicht mal, was Humanismus sei (stimmt). Dreißig Minuten später haben wir beide gegoogelt und der Streit geht weiter. Humanismus, so mein Freund, sei ja wohl das Nonplusultra. Es sagt das intellektueller und außerdem sagt er das auf Englisch. Da kann ich nicht mithalten. Humanismus, lerne ich, ist …ach, das ist mir viel zu anstrengend. Dass man alles schön rational so tun soll, auf dass die Erde ein besserer Ort werde. Das hat auch Michael Jackson schon mal so gesungen. Statt Religion und Aberglaube folgen die Humanisten dem „Reason“. Ich bin wohl dann ein aktiver Humanist, wenn ich die Welt ein bisschen besser hinterlasse als ich sie vorgefunden habe. Ich fühle, das ist falsch. Als ob wir uns ernsthaft vom Verstand leiten lassen (the gut feeling). Klar, die Sklaverei ist abgeschafft, Frauen haben ein paar mehr Rechte. Aber das kann alles in einem Augenzwinkern auch wieder vorbei sein, oder in hundert Jahren sind mal die Männer versklavt (je länger ich drüber nachdenke …). Zu jedem Quentchen Guten, das wir der Erde vorübergehend zufügen, tun wir in der Regel auch einen Schuss Mieses hinzu. Siehe aktuell die aufgrund der Klimaerwärmung heraufblubbernden Methanblasen in Sibirien. Drei Tage später. Ich hatte wohl ein wenig unrecht mit dem, was ich für Humanismus halte, aber er findet dafür jetzt John Gray ganz prima. Wir haben also nun beide einen neuen gemeinsamen Lieblingsphilosophen (Hier eins seiner Bücher). Streiten verbindet. Ach und hier mein Lieblingszitat von John Gray: “Theories of progress are not scientific hypothesis – they are myths which answer the human need for meaning.“
(Bild: wueStenfUXX/photocase)