zelzius

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Humanismus I

In Alltag, Humanismus, Philosophie, Streitkultur on März 16, 2010 at 6:05 pm

Ich streite mich täglich mit meinem Freund. Es geht dabei nur ganz selten um das Übliche, also Putzen, Geld und Sex. Meist streiten wir uns so laut, dass unser Hund den Schwanz einzieht und aus dem Zimmer schleicht. Die zentrale Frage ist immer: Wer hat Recht? Ein aktuelles Beispiel. Ich stimme mit dem Philosophen John Gray überein, dass Humanismus irgendwie out ist. Dann bekomme ich zu hören, dass das totaler Quatsch sei und ich natürlich unrecht habe. Auch wenn ich einen berühmten englischen Philosophen an meiner Seite habe. Der erste Punkt: Ich wisse ja nicht mal, was Humanismus sei (stimmt). Dreißig Minuten später haben wir beide gegoogelt und der Streit geht weiter. Humanismus, so mein Freund, sei ja wohl das Nonplusultra. Es sagt das intellektueller und außerdem sagt er das auf Englisch. Da kann ich nicht mithalten. Humanismus, lerne ich, ist …ach, das ist mir viel zu anstrengend. Dass man alles schön rational so tun soll, auf dass die Erde ein besserer Ort werde. Das hat auch Michael Jackson schon mal so gesungen.  Statt Religion und Aberglaube folgen die Humanisten dem „Reason“. Ich bin wohl dann ein aktiver Humanist, wenn ich die Welt ein bisschen besser hinterlasse als ich sie vorgefunden habe. Ich fühle, das ist falsch. Als ob wir uns ernsthaft vom Verstand leiten lassen (the gut feeling). Klar, die Sklaverei ist abgeschafft, Frauen haben ein paar mehr Rechte. Aber das kann alles in einem Augenzwinkern auch wieder vorbei sein, oder in hundert Jahren sind mal die Männer versklavt (je länger ich drüber nachdenke …). Zu jedem Quentchen Guten, das wir der Erde vorübergehend zufügen, tun wir in der Regel auch einen Schuss Mieses hinzu. Siehe aktuell die aufgrund der Klimaerwärmung heraufblubbernden Methanblasen in Sibirien. Drei Tage später. Ich hatte wohl ein wenig unrecht mit dem, was ich für Humanismus halte, aber er findet dafür jetzt John Gray ganz prima. Wir haben also nun beide einen neuen gemeinsamen Lieblingsphilosophen (Hier eins seiner Bücher). Streiten verbindet. Ach und hier mein Lieblingszitat von John Gray: “Theories of progress are not scientific hypothesis – they are myths which answer the human need for meaning.“

(Bild: wueStenfUXX/photocase)

Der Geist von Ottawa

In Alltag, Public Health, Tagträume on März 10, 2010 at 11:26 pm

Es gibt Zufälle, die sind nur scheinbare Zufälle. So zum Beispiel die Tatsache, dass ich in letzter Zeit immer wieder mit dem Begriff „Setting“ konfrontiert werde. Ich lerne, dass nicht alles, wo „Setting“ drauf steht, auch „Setting“ ist. Ich lerne, dass das nun wirklich der einzige Ansatz ist, um die Gesundheit der Menschheit zu retten. Ich treff dauernd auf „Setting“ weil ich einen heimlichen unerfüllten Wunsch habe. Ich würde so gerne Public Health studieren. Selten hat mich ein Thema (natürlich bis auf den Geruchssinn der Makaken!) so sehr fasziniert. Also bewege ich mich gerne im Dunstkreis von Orten, wo es um Public Health geht. Zum Beispiel das Public Health Forum in München. Außerdem treffe ich immer mehr Leute, die das bereits studiert haben, die das wollen oder gerade tun. Und das Erfreuliche, es sind auch Leute wie ich darunter, also über Pfirsich. Ich hab auch schon die Aufnahmeprüfung fürs Public Health  Studium in München bestanden (Schulter klopf), hab aber in meinem jugendlichen Leichtsinn übersehen, dass die heutigen Masterstudiengänge ein anwesenheitspflichtiger Vollzeitjob  sind. So ein total unmoderner Kappes. “An increase in freedom of learning adds to the control a user feels and therefore increases learning.”  Ich will lernen, wann es mir gefällt. Und vor allem, wann ich Zeit habe. Tagsüber von 9 Uhr bis – Moment mal jetzt ist es 00:05 nachts und ich muss noch einen Beitrag zum Thema Blutungen im ersten Schwangerschaftstrimester fertigschreiben – nun ja, also, bis spät muss ich Brötchen oder vielmehr Knäckebrot verdienen. Es sei denn, jemand würde mir ein Stipendium spendieren. Hoho, haben die Stipendienvergabestellen mal herzhaft gelacht bei  meiner Anfrage. Ich könnte das Studium online machen. Auf so eine Idee kommen aber die Unis in meiner Umgebung gar nicht, die sind viel zu sehr mit ihrem Elitedasein beschäftigt. Auch wir über Pfirsich-Jährige wollen nochmal was lernen, und zwar was Richtiges. Nicht den VHS-Kurs über die Philosophie des Abendlandes, sondern Hard Core, Hot Stuff. Mit allem dran und drum, mit Schein und Buchstaben vorm Namen. MPH heißen die übrigens beim Master of Public Health. MPH (auf der Zunge zergehen lass).
Bleiben noch die richtig renommierten Public Health Unis in den Ländern, die ihren Lernluxus auch für Online-Studierende anbieten. Aber da sollte man viel Klingel im Beutel haben, denn die verlangen ab 60.000 Euro und aufwärts. Seufz. Aber wie gesagt, ich traf auf einen, der nicht nur „Setting“ sagte, sondern auch gerade PH studiert. An einer englischen Uni, online, für rund 2000 Euro pro Jahr. Und er ist begeistert. Aber auch das ist Schotter, der nicht am Straßenrand steht.
So, jetzt wollen Sie vielleicht noch wissen, was denn „Setting“ ist und warum diese Kolumne „Der Geist von Ottawa“ heißt. Dazu müssen Sie mir einen Euro auf mein Stipendiumskonto überweisen, sobald 2000 Euro drauf sind, fange ich an zu studieren und zu erklären.

(Foto: AllzweckJack/photocase)

blub blub

In Alltag, Journalismus, Kommunikation on März 8, 2010 at 5:02 pm

Es gibt Tage, vor allem Montage, da werde ich mit News überschwemmt und steh kurz vor dem Ertrinken. Es fängt damit an, dass ich die Newsletter studiere und denke, wow,  interessant. Wenn ich das zum 20sten Mal denke, ist mir schon etwas schummerig zumute. Spätestens bei der 30sten interessanten News ahne ich, das kann doch alles gar nicht so wichtig sein. Wie überleben denn die anderen, die das nicht alles wissen? Dass Frauen, die nicht trinken, weniger zunehmen als Frauen, die gar nix trinken. Dass ein niedriger IQ mit Herz-Kreislaufkrankheiten einhergeht, dass Werbefernsehen (aber nicht einfach nur so glotzen) dick macht, dass Urlaub eigentlich gar nicht glücklich macht (sondern nur die Vorfreude darauf), das flexible Arbeitszeiten gesünder sind, dass Religion doch nicht gegen Herzkrankheiten hilft, dass Testosteron sozialer macht (außer man glaubts nicht) usw. Kann mir mal jemand wissenschaftlich zeigen, ob News das Leben der Menschen verändert. Na ja, vielleicht sollte ich das gelassener sehen (Aufregung erhöht ja mein Herzinfarktrisiko). Es sind Tropfen im Meer des vor sich hingleitenden Wissenflusses, der die Menschheit irgendwohin trägt. Ab und an twittere ich dazu, um wenigstens ein bisschen News-Ballast abzuwerfen. Meine Tweets findet man übrigens unter fabtext auf  Twitter.

(Foto: MMchen, photocase)

Web 2.aahhh

In Kommunikation, Web 2.0 on März 6, 2010 at 3:46 pm


Visionäre, Inventeure, Querköpfe. Ich liebe Fortbildungen, Symposien, Workshops, Kongresse, Vorträge. Und ich bin regelmäßig enttäuscht. Ich hab rausgefunden warum. 99,9% aller Menschen plappern einfach nach. Das langweilt mich wahnsinnig. Außerdem: Ich hab was gegen Frontalunterricht. Plapper, plapper, plapper …. Umso schlimmer, wenns auch noch um Web 2.0 geht, das ja angeblich der Ausweg aus der Einwegkommunikation sein soll.
Sie habens erkannt. Ich war auf einem Web 2.0-Workshop. Facebook, Twitter, Blog, RSS, Xing, Social etc. Hab ich, bin ich, nutze ich schon. Ich hatte große Hoffnung – so ne tolle Idee, das Internet, die Community, die Zukunft, besser, schneller, schöner, freier, hipper, geiler. Web 2.0 du hast mich enttäuscht. Tief. Ich wende mich ab von dir, besuche ein letztes Mal alleinr.de und verschwinde (naja, nicht genau, ich blogge ja noch). Warum? Ist da jemand out there?

(Foto: schordzi/flickr)

Das hab ich auf Buch

In Web 2.0 on März 5, 2010 at 7:08 pm

„Das hab ich auf Buch“, hörte neulich eine Freundin von mir einen Jungen in der U-Bahn zu seiner Clique sagen. Super. Besser kann man die digitale Revolution nicht in Worte fassen. Eigentlich „hat“ man ja was auf CD, DVD, Youtube, Kindle oder auf sonstwas modern Digitalem. Aber jetzt hat man also auch was auf Buch. Hegel? Ach, hab ich auf Buch. Mir gibt das Grund zur Hoffnung. Bücher werden wieder cool. Und möglicherweise auch diejenigen, die sie schreiben? Vielleicht kann ich ja den ganzen Schmonz mit twittern, bloggen, sozialnetzwerken, webzweinullen und so lassen? Ich kauf mir einen Füllfederhalter und schreib ein Buch. Hübener? Hab ich auf Buch. Ach wär das schön …

(Foto: spacejunkie/Photocase)

Redet mit mir!!!

In Kommunikation on März 5, 2010 at 9:55 am

Warum ist es eigentlich oftmals leichter, als Medizinjournalist Rückmeldung von einem Ansprechpartner in Skandinavien oder den USA zu finden als in Deutschland? Ich habe da meine eigene Erklärung – nicht ungefärbt von meinen Erfahrungen als Pressereferentin eines Uniklinikums. Deutsche Mediziner (Wissenschaftler möchte ich davon ausnehmen) haben in der Regel keine Ahnung vom Umgang mit der Presse. Die Presse ist lästig, nimmt Zeit und verdreht die Fakten. Ich habe Fälle erlebt, in denen Auskünfte an die Presse Ärzten die Karriere geknickt haben. Gewisse häufig gelesene Zeitungen schicken ja auch als Angehörige getarnte Journalisten in die Klinik, um so herauszufinden, ob ein prominenter Patient noch atmet oder nicht. „Schnell, der Papst kriegt einen Luftröhrenschnitt, sagen Sie mir, wie sowas geht“, „Schnell, sagen Sie mir, warum man fünf Scheiben Toastbrot nicht in einer Minute runterschlucken kann?“, „Schnell, sagen Sie, kann Prinzessin X angesichts der kleinen Rundung unterm Bauchnabel schwanger sein oder nicht?“. Auch beliebt: „Haben Sie mal schnell einen Sex-Experten für mich?“. Hey, das sind alles legitime Fragen. Antworten sie darauf. Merken sie sich den Namen des Journalisten und seines Mediums. Wenn sie dann mal wirklich ernsthafte Themen haben, die ihrer Meinung in die Öffentlichkeit sollten, haben sie einen Ansprechpartner bei der Presse. Wenn sie keine Auskunft geben, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Stühle bei ihren Pressekonferenzen leer bleiben. Aber es geht natürlich noch viel weiter und das wissen die Schweden und Amis schon lange: Landet mein oder der Name meiner Institution bzw. Arbeitsgruppe besonders häufig in der Presse, wachsen wahrscheinlich meine Chancen, dass Forschungsanträge bewilligt werden. Ebenso wachsen die Chancen, dass mein Forschungsthema populärer wird, sprich in Kürze mehr Forschungsgelder locker machen könnte. Feiner ausgedrückt: Wer öffentliche Gelder als Arzt oder Wissenschaftler bekommt, hat auch die Pflicht, auf öffentliche Fragen zu antworten. Das Volk zahlt, das Volk will was dafür zurück. Wenn plötzlich alle Medien über die Forschungsergebnisse eines Neuroökonomen schreiben, wird *puff* dieses ehemalige Außenseiterthema zum In-Thema. Das geschieht selten „einfach so“. Die Forschung greift populäre Frage auf (im Zuge der Wirtschaftskrise beispielsweise: Kann man Schwindler per Gehirnscan erkennen?), eine engagierte Pressestelle fasst sie spiegel.de und Co-tauglich in griffige Texte, platziert sie dort, wo alle Medizinjournalisten hinschauen (eurekalert, idw), schickt noch ein passendes Profi-Bild mit und ab geht die Post. Hat eigentlich schon jemand untersucht, wie sich effiziente Pressearbeit auf das Einwerben von Forschungsmittel auswirkt? Darüber würde ich gerne eine Doktorarbeit schreiben (Falls das hier eine potenzielle Doktorvatermutter liest, bitte melden). Wer jetzt übrigens denkt „oh je, die Presse wird manipuliert …“, verschließt die Augen vor der Realität. Außerdem sind wir nicht so dumm, uns wirklich nur von den Pressestellen wie Vieh auf der Weide von einer grünen Wiese zur nächsten schieben zu lassen (naja …. muss ich wirklich nochmal drüber nachdenken). Also, ich suche immer auch außerhalb von Eurekalert und „den-kann-man-sich-sowieso-in-den-Schuh-schieben-„ IDW. Ich finde dort interessante Sachen. Aber dieser Fund kostet mich zehnmal mehr Zeit als der auf der grünen Eureka-Weide. Und oft werden diese Themen von den Redaktionen abgelehnt (sind nicht Phase III oder relevant genug. Die Pressestellen der Journals wissen schon, warum, sie was an Eureka schicken). Das ist also eher mein Zusatzspaß. Vielleicht sollte ich hier mal davon berichten. Ich hab da schon was im Kopf.

(Foto: himberry/photocase)

Der Mythos von A & B

In Gesundheit ohne Gewicht on März 4, 2010 at 9:47 am

Wenn ich nochmal schreiben muss, dass gesunde Ernährung und Bewegung gesund sind, krieg ich Pickel. Abnehmen und bewegen, abnehmen und bewegen, abnehmen und bewegen – das Mantra: garantiert ohne Wirkung. Aber ich muss es schreiben. Erstens weil es wahr ist, zweitens, weil es so schön die gesundheitliche Verantwortung in die Hände des Individuums legt. Mit der Wahrheit bin ich mir inzwischen nicht mehr so sicher. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass gesunde Ernährung und Bewegung nur Ausdruck anderer Parameter sind, die uns gesünder machen. Zum Beispiel ein erfüllter Job mit kreativem Spielraum, gefühlsreiche Beziehung und die Möglichkeit, sein Leben selbst zu gestalten und zu verändern. Und das liegt oft nicht nur in den Händen des Individuums, sondern ist Ausdruck gesellschaftlicher Zusammenhänge. Tatsächlich gibt es inzwischen auch eine Reihe von Hinweisen, die zeigen, dass unser beruflicher Gestaltungsspielraum, unser Grad an Einsamkeit, unser Erfülltheit durch ein sinnstiftendes Lebensziel, ein tragender Freundeskreis einen Einfluss auf Gesundheit haben. Es gibt solche Studien und sie zeigen, dass etwa Einsamkeit eine ebenso negativer Faktor für die Gesundheit ist wie ungesunde Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel. So ganz kommt das in der Öffentlichkeit aber nicht an. Denn ein Begriff wie Einsamkeit ist schwieriger zu definieren als die Extrakilos, die man per Waage messen kann. Hinzu kommt, dass man beim Thema Übergewicht schnell den Schuldigen legen kann: Du, du isst einfach zuviel. Aber wer oder was ist Schuld an Einsamkeit oder an mangelndem Gestaltungsspielraum im Job? Je flexibler ein Arbeitnehmer seine Zeit gestalten kann, umso gesünder ist er. Unflexible Arbeitszeiten als Risikofaktor. Wer ist denn jetzt daran Schuld? Unsichere Jobverhältnisse schlagen auf die Gesundheit. Aha, jetzt ist also die Politik, das Wirtschaftssystem, die Gesellschaft Schuld. Da wir alle daran beiteiligt sind, sind wir also alle mitschuld an der wachsender Zahl chronischer Erkrankung, der Epidemie des Übergewichts und Diabetes? Statt also den Einzelnen zum (gähn, Pickel krieg) Abnehmen und Bewegen zu überreden, solle man seinen mikromalen Einfluss nutzen, um gesellschaftliche Prozesse anzustoßen? Ich freu mich über jeden Denkanstoß, den ich schreiben darf (z.B. hier). Und als nächstes denke ich über diese News nach, die neulich durch den Ticker ging: „Ein niedriger IQ ist ein bedeutsamerer Risikofaktor für die Gesundheit als Übergewicht und Bewegungsmangel“. Macht Dummheit krank? Woher kommt Dummheit? Was ist Dummheit? Was sagt eigentlich der IQ aus? Ist er nun angeboren oder nicht? Dazu beim nächsten Mal mehr. Als ich die News entdeckte, war es halb vier Uhr nachts und ich habe sofort einen Online-IQ-Text gestartet. Eine Katastrophe. Ich rechne mit meinem baldigen Ende…

(Foto: photocase, vandalay)